type | fiction |
booktitle | Die Ritter vom Geiste |
author | Karl Ferdinand Gutzkow |
year | 1998 |
publisher | Zweitausendeins |
address | Frankfurt am Main |
isbn | 3-86150-278-X |
title | Die Ritter vom Geiste |
created | 19990130 |
sender | gerd.bouillon@t-online.de |
firstpub | 1851 |
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Wir wissen, daß Helene d'Azimont dreißig Jahre zählt. Eine gewisse schwellende Rundung ihrer Formen war die einzige Bestätigung dieses Alters. Sonst glaubte man ein Kind vor sich zu haben, eine zum ersten Male ins Leben tretende Jungfrau, voll Vertrauen, Dreistigkeit, angeborener Sicherheit. Wie dies Auge rollte! Wie diese Brust wallte! Pauline konnte sie ohne Hemmniß an die Flordraperie ihres Halses drücken, denn Helene war so einfach gekleidet! Sie war schwarz vom Kopf bis zur Sohle. Man sah, daß es nicht ihre Absicht war, heute bis zur Gesellschaft zu bleiben. Und doch blendete die Weiße ihrer Haut unter den schwarzen Flören wie der schönste Schmuck! Sie trug an dem runden, vollen Arme lange schwarze Florethandschuhe. Um den Hals funkelte wol ein Collier von Brillanten, aber dies schwarze Florchiffü über dem Flechtenneste und halb dem Scheitel der Haare, dieser Kopfputz mit den einfach in den Nacken herabhängenden Spitzenzipfeln war so wenig auf gesellschaftlichen Reiz berechnet, daß man an die Ächtheit der Thränen glauben mußte, unter denen sie ausrief:
Da haben Sie mich denn, Pauline! So komm' ich von Paris, so sehen Sie in mir die Verzweifelnde, die Sterbende um einen Sterbenden!
Helene, ist die Gefahr so groß? fragte Pauline halb wie zitternd.
Egon stirbt! Egon wird dieser Erde nicht mehr angehören!
Ich bitte Sie, Freundin! Ein junger, kräftiger Mann! Wir haben keine Epidemieen. Ärzte umstehen sein Lager. Sie selbst –
Ich, Pauline? Ich?... Ihr wißt es ja Alle! Wo ich hinblicke, hat ja die Welt kein Mitleid für mich, nur lachende boshafte Augen! Die Menschen, die Bäume, die Vögel in der Luft lachen! Verstoßene, verlorene Helene, ruft mir ja jedes Atom, jedes Stäubchen zu, über das ich ohnmächtig hinschwebe! Zwei Jahre des seligsten Glückes sind ja vernichtet, geschändet – o was sag' ich geschändet! Egon! Was du thust ist wohlgethan. Tritt mich mit deinen Füßen, verstoße mich, morde mein Herz! Nur stirb mir nicht! Lebe! Lebe! Lebe!
Helene lag schluchzend auf dem Sopha...
Pauline mußte sich, selbst wenn sie der kältesten Fassung fähig war, von einem solchen Ausbruch wildester Verzweiflung erschüttert fühlen. Sie hatte seit einiger Zeit in einer Welt gelebt, die sich um sie her immer mehr erstarrte; sie hatte früher in dieser Weise selbst geliebt, selbst empfunden. Aber jetzt nach so vielen Verknöcherungen und Versteinerungen ihrer nächsten Lebensbedingungen war ihr diese Scene fast wie Traum aus ihrer frühesten Jugendzeit. Die fünfundzwanzig Jahre, die sie mindestens vor der jungen verzweifelnden Frau voraus hatte, fühlte sie einen Augenblick nicht; sie konnte das Zittern ihrer Hand nicht unterdrücken, konnte nicht von ihren Lippen wegwischen, daß sie einen Augenblick bebten. Sie dachte an Heinrich Rodewald und ihre Jugend...
Helene, sagte sie nach einer Pause allmäliger Sammlung, Helene, Sie sehen mich voll gerührtester Theilnahme, aber auch voll Überraschung. Ich weiß so wenig von Dem, was Sie betrifft. Ich hoffte dieser Tage durch einen Besuch bei Ihrer Schwester –
Schweigen Sie von dieser Schwester! rief Helene, und in die zarte Erscheinung fuhr plötzlich eine so elastische Beweglichkeit, eine so aufschnellende zornige Erregung, daß man die in Liebe zerflossene Weiblichkeit kaum wiedererkannte. Der Mund und das Kinn traten entschlossen hervor und die Augen blitzten von einem wilden, trotzigen Feuer.
Schweigen Sie, rief sie, von dieser Heuchlerin, dieser lieblosen Moralistin! Für die glühendsten Schilderungen meines Glückes, die ich ihr nach Odessa schrieb, hat sie mir im Tone einer Predigt geantwortet. Wenn sie mich tadelte, daß ich für Belcotti schwärmte, mit Addington tändelte, die Leiden des polnischen Volkes mit dem jungen lithauischen Flüchtling Bardansky verwechselte, o, alle diese Vorwürfe waren gerecht und ich nahm sie mit schwesterlicher Liebe hin. Aber endlich schrieb ich ihr, ich trenne mich von d'Azimont, ich liebe, ich liebe zum ersten male, ich liebe, wie ein Weib lieben soll, ein Weib, das fühlt, ein Weib, das da ahnt, in ihr ruhe das Geheimniß der Schöpfung. Als ich ihr schrieb: Der, den ich liebe, ist ein Gott und seinen Namen nennen die Irdischen Egon Prinz von Hohenberg, und als sie mir auch darauf Moral, ewig Moral und immer Moral predigte, sehen Sie Pauline, ich habe geschworen, wer mir das Kleinod meines Lebens beschmutzt, mir die Sonne verdunkeln will, die ich anbete und mögen alle Priester der Erde sagen, die Anbetung der Sonne wäre Heidenthum... ich könnte den Dolch erheben und jeden Lästerer meiner Religion durchbohren, sei's ein Bruder, sei's eine Schwester und diese Schwester existirt nicht mehr für mich.
Pauline gedachte der Zeiten, wo sie auch mit Dolchen spielte! Wäre sie eine Philosophin geworden, so hätte sie gelächelt; aber sie lächelte nicht. So wild war zwar nicht ihr Haß gegen Anna, wie Helenens Haß gegen die Fürstin Wäsämskoi, aber sie erwärmte sich daran, doch wieder einmal auf dem Bereiche der Herzensgeltendmachungen etwas Kraftvolles, etwas Titanisches zu erleben. Sie jubelte, jene halb wahnwitzige Sittenlogik anerkannt zu sehen, in der sie früher selbst gedacht, dann geschrieben hatte und in deren ohnmächtigen letzten Trümmern sie sich absterbend verzehrte. O sie stand auf! Sie hielt diese Sprache der Liebe nicht aus, ohne dafür mehr zu haben als bloße einfache Zustimmung! Sie wurde jung, indem sie auf- und abschritt und Helene, selig über Paulinens Erschütterung, umschlang sie und zog sie zu sich unter die Camelien und fuhr, ihre Hand festhaltend, fort:
Nichts von Adelen, Pauline! Sie wohnt hier in der Nähe, ich weiß es. Ich kenne sie nicht. Ich schrieb es soeben schon an d'Azimont nach Paris. Er wird meine Meinung billigen; er ist sehr gut und was an ihm das Beste ist, er liebt, wie ich, den Charakter!
Wie geht es denn Desiré? fragte Pauline.
Recht übel! bemerkte Helene.
Desiré d'Azimont war ihr kränkelnder Gatte.
Wie lange ist es her, daß wir zum letzten male hier waren? fuhr Helene fort.
Vor drei Jahren; sagte Pauline. Haben sich seine Übel verschlimmert?
Desiré ist recht krank. Man fürchtet für ihn. Seine Corpulenz wird beunruhigend. Die Mutter gibt ihn auf und Sie wissen, böse Augen sehen weiter, als die Augen guter Menschen.
Keine Veränderung in den alten Verhältnissen?
Nur noch gesteigerter! Die Mama ist förmlich eine Megäre und foltert mich. Desiré's himmlische Güte schützt mich allein. Sie will die Scheidung vor Desiré's Tode und Desiré, der Egon wahrhaft liebt –
In der That?
O Desiré bleibt sich gleich. Desiré ist ein Philosoph. Er gefällt sich darin, wie Seneca zu sterben. Ich weiß nicht, ob ich ihn für größer halten soll als...
Warum stocken Sie?
Darf ich denn unbefangen über Desiré sprechen?
Helene!
Sie liebten ihn, Pauline, und waren glücklich, als er mich wählte. Sie drückten mich vor elf Jahren an Ihr Herz und nannten mich Schwester!
Ich dächte, mein Kind nannt' ich Sie, Helene!
O Sie sind gut, Pauline! Sie blieben mir die treueste Freundin trotzdem, daß es Ihnen wehe that, das Band, das Sie an den guten Desiré fesselte, getrennt zu sehen. Aber wie bewundert man Sie auch Beide in Paris...
O Helene!
Ja, alle Cirkel sind noch jetzt von Ihnen voll. Balzac hat mir versprochen, über uns alle einen Roman zu schreiben. Ich verbot es ihm, weil ich nach dem Nadasdi nichts mehr von Ihnen angezeigt fand.
Deshalb? Warum Nadasdi –
Ich vermuthete, daß Sie selbst dieses Sujet behandeln würden. Sie haben so lange geschwiegen? Warum erscheint nichts von Ihnen?
O!... antwortete Pauline ablehnend.
Wie lieb' ich Alles, was Sie schreiben, fuhr die gute, kritiklose Helene fort, die gar nicht ahnte, welche wunde Stellen sie berührte und wie sie eigentlich hinter dem Gegenwärtigen zurück war. In Amarantha erkannt' ich Ihr Herz, in Nadasdi Ihre vorgeschrittene Kunst. Wäre ich nicht durch Egon um meine Besinnung gekommen, ich hätte ein Capitel von Nadasdi unter dem Titel: Moeurs hongrois... übersetzt. Welche Phantasie haben Sie! Hier dieses Zelt, Ihr Costüme, Pauline! Sie sollten in Paris leben. Man würde Sie aufsuchen wie eine Priesterin des Geschmackes, eine Velleda, eine Druidin der Inspiration. Wir haben es jetzt sehr mit den Velleden und Druidinnen! Ach, was bleibt uns auch nach dem Schmerze noch übrig als die Weissagung! Auf unsern Trümmern wird man uns entweder zerschmettert finden, oder wenn wir uns erheben können, so ist es nur in der Mission der Prophetie! O meine liebe Pauline, was erlebt' ich seitdem! Sähen Sie in Alles hinein bis auf den Grund, wie würden Sie, wenn Sie's beschreiben wollten, die Menschen rühren, während denen freilich, deren Herz Sie sicher vertheidigen würden, es bräche!
Pauline war über alle diese Bemerkungen überglücklich. Es waren ihr Das nicht die Phraseologieen der neuromantischen Schule, sondern wirkliche Ergüsse reinster Aufrichtigkeit und Hingebung, ohne die Idee einer Ironie! Das Lob, das sie so oft für ihre Feder empfangen hatte, war meist satirisch gemeint gewesen. Sie war weltklug und in einem gewissen Punkte nicht eitel genug, um auf diesem Bereiche Wahres und Falsches nicht sogleich zu unterscheiden. Aber diese Huldigungen der d'Azimont, das wußte sie, die waren ganz naiv und aufrichtig gemeint. Auch die förmlich auf den Kopf gestellte Moral der beiden Frauen war zwischen ihnen chose convenue.
Als ich von Odessa kam, sagte Helene, ich unerfahrenes dummes Ding, was wußt' ich von der Welt! Desiré gestand mir, daß Ihr Beide Euch geliebt hattet und ich fand Das edel und gut von Ihnen, denn Desiré verdient, daß man ihm wohl will. Sie drückten mich vor elf Jahren an Ihr Herz und die Thränen, die Sie weinten, als Sie die kleine Comtesse d'Azimont zum ersten male sahen, werd' ich Ihnen ewig gedenken. Wie oft fand ich diese Thränen in dem Nadasdi und der Amarantha wieder! Sie entsagten und förderten mein Glück. Ihre Liebe, Ihre Freundschaft hat mich erst die Welt kennen gelehrt; denn o Himmel, was war ich? Was wußt' ich? Sylvester Rafflard in Osteggen war ebenso ein Ignorant, wie er jetzt ein Bösewicht ist und aus Rache, daß wir ihn, einem deutschen Pedanten zu Liebe, verabschiedeten, mich noch jetzt verfolgt. Er ist der treueste Rathgeber meiner Schwiegermutter geworden, dieser bösen Frau, die trotz ihres Strebens, kanonisirt zu werden, mein Unglück will.
Rafflard? sagte Pauline. Ich fand den Namen kürzlich in den Blättern angezeigt. Ein Name dieses Klanges, scheint mir, ist... hier angekommen?
Der Himmel gebe, daß Sie sich irren! rief Helene entsetzt. Ich haß' ihn trotz seiner Freundlichkeit und alle Welt sagt, es ist ein Jesuit.
Ich entsinne mich, Rafflard! Professor Rafflard reist, um die Gefängnisse zu studiren –
Das ist er! Rafflard ist hier?
In den Zeitungen las ich, daß er einer Gesellschaft angehört, die es sich zur Aufgabe macht, das Loos der Gefangenen zu mildern...
Lug und Trug! Es ist ein Jesuit, wie nur irgend einer in der Rue Jean Jaques Rousseau gebacken wird! Er verließ die reformirte Religion nach den schlimmsten Streichen, die er sich in Genf erlaubte und muß durch den boshaftesten Zufall von der Welt der Rathgeber meiner Schwiegermutter werden! Nach Egon's Abreise flog ich dem Geliebten nach und glauben Sie mir, nicht die Gefangenen sind es, die ihn herführen. Ich bin es! Ich, die er wie eine Schlange umringelt hält, um mich von Egon loszureißen...
Die Gräfin theilt nicht die Toleranz ihres Sohnes?
Sie betreibt eine Scheidung. Sie will das Vermögen, das nach Desiré's liebevoller Anordnung mir allein anheimfällt, sich, der Kirche, dem Beichtstuhl, den Jesuiten erhalten. Rafflard hier! Auch Das noch? O ich bin sehr, sehr unglücklich, Pauline.
Damit flossen Helenens Thränen, wie die eines Kindes, dem alle seine liebsten Hoffnungen von der unerbittlichen Strenge eines Lehrers oder einer weisen Mutter zerstört werden.
Pauline suchte Helenen zu trösten und versprach ihr Rath und Beistand. Nur sammeln Sie sich, sagte sie und vertrauen Sie mir! Wie kommen Sie denn nur zu dieser verzehrenden Flamme, zu dem Prinzen Egon?