Projekt Gutenberg

Textsuche bei Gutenberg-DE:
Startseite    Genres    Neue Texte    Alle Autoren    Alle Werke    Lesetips    Shop    Information    Impressum
Autoren A-Z: A | B | C | D | E | F | G | H | I | J | K | L | M | N | O | P | Q | R | S | T | U | V | W | X | Y | Z | Alle
Gutenberg > Karl Gutzkow >

Die Ritter vom Geiste

Karl Gutzkow: Die Ritter vom Geiste - Kapitel 34
Quellenangabe
typefiction
booktitleDie Ritter vom Geiste
authorKarl Ferdinand Gutzkow
year1998
publisherZweitausendeins
addressFrankfurt am Main
isbn3-86150-278-X
titleDie Ritter vom Geiste
created19990130
sendergerd.bouillon@t-online.de
firstpub1851
Schließen

Navigation:

Die Mutter, des Justizraths »gutes Hannchen«, gehörte zu den Wesen, denen nichts unbequemer war, als eine allzu tiefe Erforschung von Dingen, die nur auf Unerfreuliches führen konnten. Sie war eine durchsichtige, verständige, scharfblickende Frau. Sie ahnte durch Inspiration rascher Etwas, als manche schwerfällige Untersuchung langsam ergab. Aber sie liebte es, sich über Das, was ihr möglich, ja wahrscheinlich dünkte, dennoch keine Rechenschaft abzulegen. Sie wollte das Geschick immer nur en profil, nie en face sehen. So ließ sie denn auch über dies sonderbare »Nie« getrost den Schleier fallen. Sie wußte, daß in ihrer unverzeihlichen Sorglosigkeit Melanie neben Hackert aufgewachsen und von dessen zügelloser Frühentwickelung in bedenkliche Gefahren gerathen war, von denen das aufgeregte, ebenso über die Liebe früh nachgrübelnde Mädchen noch »zur rechten Zeit« wie der Vater damals sagte, befreit wurde.... Und so alles Unangenehme vertuschend, verwischend, beschwichtigend sprach sie mit heiterm Ton:

Laß Das nun gehen, Kind! Wir hätten einen solchen Caliban nie ins Haus nehmen sollen! Es geschah. Es sollte so sein. Wir hatten Mitleid mit dem ungewissen Schicksal eines vor dem Waisenhause einst ausgesetzten Findlings, hielten ihn höher, als wir ihn hätten halten sollen, und müssen uns vorwerfen, daß wir nicht strenger wachten, als er anfing auf schlimmen Wegen zu gehen und sich und Andere zu verderben. Geliebt kann er dich nie im Ernste haben; denn seine Aufführung bewies es nicht. Es kam später Alles zu Tage, was er war und wie er auf die Zerstörung seiner Jugend wüthete! Jeannette hat viel gebeichtet. Er verwandelte Tag in Nacht und Nacht in Tag. Am Bureau neben dem Vater schlief er mit offenem Auge. Da mußte er in den Nächten wol mit geschlossenen Augen wachen. Die Lection, die ihm Lasally gab, war nicht nach unserm Sinne, sie war grausam; aber sie hat ihm gezeigt, daß wir ihn nicht fürchten, mag er auch noch soviel drohen, noch soviel mit seiner Kenntniß der Geheimnisse des Vaters prahlen. Wir boten ihm, wenn er uns nicht mehr belästigen wollte, Geld an; er nahm nicht mehr, als wir ihm früher schon ausgesetzt hatten, bis er eine Stelle fand. Und doch, sagt man, soll er so träge sein, daß er nicht die geringsten Anstalten trifft, seine Zukunft von der Abhängigkeit, die ihn an den Vater fesselt, zu befreien. Ach! Kind, es war immer eine böse Natur! Bald Verschwender, bald geizig. Bald offen, bald hinterlistig. Und welche maßlose Eitelkeit! Ich will nicht davon sprechen, daß er mit seiner abschreckenden Figur, seinem rothen Haar, seinen abgerissenen Stiefeln und seiner unausrottbaren Unreinlichkeit sich einbilden kann, noch einen Eindruck auf Dich zu machen.... Ist es nicht die tollste Eitelkeit, daß er uns hat sagen lassen, er schone den Vater bis zu seinem fünfundzwanzigsten Jahre, wo ihm Dieser versprochen hätte, ihm das Geheimniß seiner Geburt zu entdecken?

Der Vater weiß darum, sagte Melanie.

Nicht ein Wort weiß der Vater, sagte ihre Mutter. Er hat einzelne Anzeichen, einzelne kleine Zufälligkeiten entdeckt (z. B. einen zerbrochenen, bei dem Findelkinde gefundenen Ring), die auf ein nicht ganz gewöhnliches Herkommen dieses Menschen schließen lassen; aber die wenigen Worte, die der Vater einmal bei guter Laune darüber fallen ließ, haben ihm so den Kopf verwirrt, daß er sich einbildet, sicher ein Baron zu sein. Genug von ihm! Steh' nun auf! Sei heiter! Genieße das himmlische herrliche Wetter! Sieh! Sieh! Die goldene Sonne!

Damit riß die Mutter die Vorhänge auf, der lichte Sonnenschein fiel in das dunkle, plötzlich erhellte Zimmer.

Auf! Auf! Tummle dich, Melanie! ermüdete die Mutter nicht zu rufen. Nimm an mir ein Beispiel! Schon war ich im Bade! Schon trank ich Wasser an der frischen Quelle im Garten. Wasser, Sonne, Luft, Licht, Blumen!... Mädchen, weißt du denn nicht mehr, was schön und jung macht, schön und jung –

Erhält! fiel Melanie schmeichelnd ein, wandte sich und reichte der frisch und rosig strahlenden Mutter die Hand.

Indem klopfte es.

Wer klopft?

Eine Stimme wisperte am Schlüsselloch:

Darf ich?

Jeannette?

Nein, sagte die Justizräthin; es ist Bartusch.

Stör' ich? rief Bartusch durch das Schlüsselloch. Kommen Sie heraus! Es sind merkwürdige Briefe vom Justizrath da.

Vom Vater?

Die Mutter ging hinaus.

Nach einigen Secunden kam sie wieder und rief:

Melanie! Denke dir, wer angekommen ist?

Erschrecke mich nicht! Ich rathe nicht gern. Meine Nerven sind angegriffen...

Der Prinz Egon!

So? Das wissen wir ja schon.

Prinz Egon von Hohenberg!

Angekommen? In der Residenz?

Nein, hier! Hier auf dem Schlosse.

Sonderbar, wie diese Worte auf Melanie wirkten! Sie kannte den Prinzen nicht und mußte eher im Interesse ihrer Familie vor ihm auf der Hut sein, als dabei interessirt, ihn gerade hier zu sehen, wo sie Alle von seinem Eigenthum fast Besitz genommen hatten.... Dennoch sprang sie jetzt aus dem Bette, ließ Hackert Hackert sein, kümmerte sich nicht mehr um Lasally, nicht um den Intendanten, vergaß die Nacht, vergaß ihr Kopfweh, vergaß ihre Schlaflosigkeit und trieb nur die Mutter an, ihr zur nothdürftigsten Toilette beizustehen. Wie ihre Füße in die seidenen Pantöffelchen schlüpften, die leichten Nachtgewänder abgeworfen wurden, wie sie an den Toilettentisch eilte und sich in flinkester Behendigkeit Angesicht und Nacken benetzte, wie sie dazwischen an dem Schellenzug riß, um den Bedienten das Zeichen zum Serviren des Frühstücks zu geben... man hätte nicht glauben sollen, daß Dies dasselbe Wesen war, das noch eben wie leblos, ganz in Träumerei und Erinnerung versunken, zwischen den grünseidenen Couverten des Bettes gelegen hatte. Das einzige Wort: Ein Prinz, der Prinz Egon, ist hier auf Hohenberg! hatte sie elektrisirt. Sie herzte die Mutter und tröstete sie mit den Worten:

Laß es nun gut sein, sonst muß ich über mich selbst lachen! Ja! Ja! Wasser! Luft! Sonnenschein! Die Mutter hat Recht.

Damit drängte sie die kleine runde Mama, die schon so frisch, so sauber ausschaute, durch die Thür und hüpfte ihr mit den Worten nach:

Nun guten Morgen, Bartusch, was haben Sie? Was schreibt Papa? Wo ist hier ein Prinz? Wer hat den Prinzen? Her mit ihm!

Bartusch war schon ganz in seiner gewohnten Toilette. Einfach, aber sauber. Weiße Halsbinde, weißes Vorhemd, schwarze Weste, grauer Überrock, weite lichte Beinkleider, Schuhe mit grauen Kamaschen. Er wiederholte die Zeichen, die Stillschweigen bedeuten sollten, mit um so größerm Nachdruck, als ein Diener in Schlurck's geschmackvoller Livree eintrat und das Frühstück beim offenen Fenster auf einem runden Tische auftragen wollte, an dem zwei Sessel standen. Bartusch ließ ihn gewähren. Als er gegangen war und einige kleine Befehle, die Melanie's Ungeduld folterten, für die Wirthschaft mitgenommen hatte, schloß Bartusch wieder behutsam das Fenster und zeigte einen Brief, der diesen Morgen von der Residenz mit einem Expressen angekommen war, viele geschäftliche Anweisungen des Justizraths und unter Anderm auch folgende Stelle enthielt:

»Schließlich, liebster Bartusch, mach' ich Sie auf ein merkwürdiges Gerücht aufmerksam, das hier zu meiner Kenntniß gelangte. Prinz Egon ist vor einigen Tagen hier angekommen und hat sich, wie man für gewiß behauptet, in einer Verkleidung nach Hohenberg begeben. Zu welchem Zwecke ist mir unbekannt. Wenn er wirklich streng incognito reist, um uns wahrscheinlich zu belauschen und sich Hohenbergs Zustände anzusehen, würde Ihnen eine genauere Beschreibung seiner Person, die ich nicht einmal ganz geben kann, wenig nützen. Doch dürfte es immer rathsam sein, wenn Sie sich merken wollten, daß Prinz Egon mir allgemein jetzt als ein ziemlich schlankgewachsener, doch nicht übergroßer junger Mann von mehr lichtbraunem als blondem Haar geschildert wird. Seine Augen wären braun, seine Hände und Füße zierlich, was weiß ich von den Schönheiten allen, die er besitzen soll und über die man am besten thäte, erst bei den schönen Frauen in Paris Erkundigungen einzuziehen.«

Überflüssige Anmerkung, die wol von Ihnen kommt? unterbrach Melanie den schmunzelnden Vorleser...

Dieser fuhr fort:

»Das Beste an der Sache ist, daß ich ohne Zweifel den Prinzen Egon auf seiner Incognitoreise gesehen habe. Im Heidekruge, bei dem ehrlichen Manne, dem Volksfreunde Justus, der mich mit seiner Verwendung für meine schönauer Wahl betrügen und sich selbst wählen lassen wird, lernt' ich einen jungen Mann kennen, dessen Äußeres vollkommen den mir gemachten Schilderungen entspricht. Er fiel mir im Gespräch sogleich durch geistvolle Wendungen sehr auf, und da er liberale Ansichten aussprach, bin ich überzeugt, daß es der Prinz war, den die diesseitige Gesandtschaft in Paris sehr oft als einen Communisten bezeichnet hat. Soviel ich aus Champagnernebeln her mich entsinne, hatte dieser Fremde hellbraunes Haar, trug sich mit einem der modernen Bärtchen, deren Namen ich nicht kenne, war ohne Stutzerei gutgekleidet und sprach höchst angenehm und fertig. Folgen Sie diesem Signalement. Forschen Sie Egon's Schritten nach. Begierig bin ich, was der Prinz in Hohenberg beabsichtigt. Möglich, daß seine geheime Besichtigung der Familienbesitzungen ihn bestimmen könnte, die Verwaltung derselben noch einmal zu versuchen und sich mit den Gläubigern seines Vaters abzufinden. Sie fühlen, daß mir mit einem solchen Entschlusse wenig gedient sein kann, denn er würde meine Administration aufheben, die doch, so Gott will, bei der jetzigen Lage der Dinge einige dreißig Jahre über mein kühles Grab noch hinausdauern könnte. Also beobachten Sie ihn und schlagen Sie in unserm Verhalten zu ihm den Weg ein, der Ihnen der nützlichste scheint. Entdeckt er sich nicht, so wär' es am gerathensten, ihn harmlos von selbst aufzusuchen und unter irgend einem Vorwande im Schlosse anständig zu fesseln, ohne daß man dabei sein Incognito verletzt. Vielleicht hilft dabei meine gute und kluge Melanie...«

Helfen? Ich? sagte Melanie fast erröthend.

»Melanie«, fuhr Bartusch zögernd fort; »der ich übrigens wünschen muß...«

Die Mutter nahm den Brief, den ihr Bartusch jetzt zum Einsehen hinreichte, zögernd.

Melanie, gespannt und ungeduldig wie sie war, wollte kein Geberdenspiel und sagte, indem sie den goldenen Kaffeelöffel vom Munde absetzte und in die Tasse senkte:

Was soll es denn mit der guten klugen Melanie? Was ist ihr zu wünschen?

Sie kann es hören, meinte die Mutter, die weiter gelesen hatte. Ich sagte ihr ja schon, welche Belästigungen uns bevorstehen, da sich Hackert erlaubt hat, hierher zu folgen. Der Vater warnt uns vor ihm, da er ihn auf dem Heidekruge gesehen hätte und vermuthen müsse, er würde die Dreistigkeit haben, sich hierher zu begeben. Er bedauere, schreibt er, nicht gefragt zu haben, auf welche Veranlassung Hackert im Heidekrug wäre...

Lassen wir Das, sagte Melanie, und bleiben wir beim Prinzen Egon stehen. Was weiß man von ihm? Ist Jemand angekommen, der dem Signalement ähnlich sieht? Schöne Kennzeichen sind das! Wer findet sich aus solchen Allgemeinheiten zurecht? Lichtbraunes Haar, zwischen blond und braun in der Mitte spielend – ein unglaubliches Phänomen! Und die kleinen Hände und Füße, der namenlose Bart und die Französinnen, die Papa wol hätte auslassen können! Er meint die Gräfin d'Azimont, von der ich schon gehört habe....

Bartusch unterbrach sie mit dem Bemerken, es fände sich in dem wider Schlurck's Gewohnheit sehr langen, aber durch die Wichtigkeit der Veranlassung begründeten Briefe noch ein interessantes Postscriptum.

Wie in einem Frauenzimmerbriefe? sagte Melanie.

Während sie ihr feines von der alten Brigitte jeden Morgen frisch gebackenes Weißbrot zerkrümelte, las Bartusch:

»Nachträglich noch eine Notiz für die Erkennung des Prinzen. Soeben war Frau von Trompetta bei mir, um einmal wieder eine ihrer tausend Unterschriften zu sammeln. Sie antwortete mir auf meine Frage, ob sie nichts Genaueres über die Äußerlichkeit des Prinzen Egon wisse, er ähnele, sie sagte es freilich mit sonderbarer Neckerei, dem jungen schönen Maler Siegbert Wildungen....«

Siegbert? unterbrach Melanie erstaunend....

»Siegbert Wildungen, den ich mich entsinne einige mal bei uns zum Thee gesehen zu haben. Und in der That....«

Sie erfinden da Etwas, Bartusch, sagte Melanie und riß den Brief an sich.

Sie konnte nun selbst weiter lesen:

»In der That entsinne ich mich, daß mein räthselhafter Fremder im Heidekrug, nach dessen näherm Reisezweck, Namen und etwaniger Gesellschaft ich mich leider zu erkundigen vergessen habe, mir den Eindruck einer großen Ähnlichkeit mit Jemanden machte, den ich erst kürzlich mußte gesehen haben. Möglich, daß sich mir die Gesichtszüge des jungen Malers Wildungen von den kleinen Theegesellschaften eingeprägt haben. Ich könnte Ihnen von Egon's hiesigem Auftreten mancherlei Wunderliches erzählen, besonders von seinem Reisebegleiter, einem Franzosen, Namens Louis Armand; doch verspar' ich Das auf Eure Rückkunft. Behandeln Sie den Prinzen mit Discretion und tragt Alle dazu bei, Kinder, daß der Haß, mit dem er den Namen Franz Schlurck verfolgt, sich mildere und die ungemein wichtige Verständigung, die ich mit ihm durchführen muß, vernünftig abläuft.... In großer Eile!«....

Siegbert Wildungen! wiederholte Melanie noch einmal mit einem Ausdruck ihrer Gesichtszüge, der vielleicht sagen sollte: Wie mischt sich dieser reine Name in meine Lust und meinen Frohsinn?

Diese Trompetta! sagte sie zur Mutter. Es ist kein Wort wahr, daß Prinz Egon dem Maler Siegbert Wildungen ähnlich sieht; sie wollte mir nur den Stich geben: Bedenke, wen du schonen solltest! Bedenke, wer dich zu lieben vorgiebt! Der sanfte gute Siegbert!

Die Mutter zog eine Miene und nannte fast verächtlich den jungen Maler geradezu den Ritter Toggenburg aus dem Atelier.

Ich wette, diese verschmitzte Trompetta wollte mir sagen lassen: Melanie, verlieb dich nicht in den Prinzen, nicht in die Excellenz, den Gatten meiner guten Freundin Pauline von Harder, sondern denk' an Siegbert!... Bei all ihrer Heiligkeit hat sie nichts als Romane im Kopf.

Und, Fräulein Melanie, sagte Bartusch, hier ist noch eine frühere Stelle des Briefes, die wir übersehen hatten.

Ich will nun nichts mehr wissen, antwortete das Mädchen träumerisch, von der Erwähnung Siegberts erschreckt.

Vorher noch, fuhr Bartusch fort, ohne sich irremachen zu lassen, vorher noch, sagte der Justizrath - die Erwähnung des Fritz machte, daß wir die Stelle übersprangen....

Welche denn?

 << Kapitel 33  Kapitel 35 >> 






TOP
Die Homepage wurde aktualisiert. Jetzt aufrufen.
Hinweis nicht mehr anzeigen.