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Die Ritter vom Geiste

Karl Gutzkow: Die Ritter vom Geiste - Kapitel 36
Quellenangabe
typefiction
booktitleDie Ritter vom Geiste
authorKarl Ferdinand Gutzkow
year1998
publisherZweitausendeins
addressFrankfurt am Main
isbn3-86150-278-X
titleDie Ritter vom Geiste
created19990130
sendergerd.bouillon@t-online.de
firstpub1851
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Kind! Kind! sagte die Mutter, nimm Dich nur selber in Acht! Das Abentheuer mit dem Incognito bringt Dich um alle Vernunft. Es ist nichts damit; denn Bartusch scheint uns zu foppen und von einem Fremden mit lichtbraunem Haar nichts zu wissen.

Doch! fuhr dieser aus seiner Fassung nicht zu bringende Mann fort; wir haben nunmehro die Wahl zwischen drei fremden Personen, die seit gestern Abend angekommen sind. Denn den Kurier, der wahrscheinlich wegen der hier vermutheten Anwesenheit des Prinzen Egon zur schleunigsten Beschlagnahme der drei Zimmer der Fürstin gerathen hat, rechne ich nicht....

Rechnen Sie ums Himmels willen nicht! rief Melanie ungeduldig. Sagen Sie, wer von den Dreien dem Siegbert Wildungen ähnlich sieht?

Ich kenne den jungen Maler nicht, bemerkte Bartusch; aber eine gewisse Person, die man gestern tief in der Nacht hier ums Schloß hat schleichen sehen und die durch dieselben Hunde, die ich schon aus zwei andern Ursachen bellen ließ, verscheucht wurde, kann es nicht sein. Sie hatte rothe Haare....

Das war Hackert, sagte die Mutter unmuthig....

Melanie schwieg.

Er muß sich den Garten heraufgeschlichen haben, verschwand auch dorthin, als die Bedienten des Intendanten, die drüben in den Zimmern abwechselnd wachen, ihn entdeckten, das Fenster öffneten und anrufen wollten. Wo er Obdach gefunden, weiß man nicht; auch Niemand sonst hat ihn irgendwo im Dorfe unten gesehen.

Mutter und Tochter schwiegen ernst.

Dann, fuhr Bartusch, die Pause benutzend, fort, dann ist zu nennen ein älterer Mann, der in der Krone unten angekommen mit einem allerliebsten Knaben. Der Fremde nennt sich Ackermann. Herr Ackermann soll sich geäußert haben, er käme von einer weiten, weiten Reise und hat hier im Dorf Aufsehen gemacht durch das viele Seltsame und Abenteuerliche, das er gestern Abend den Leuten im Wirthshause von Amerika erzählte. Nun ja! Das fehlte uns noch, daß zu allen Calamitäten, die wir schon auf dieser Herrschaft zu überstehen haben, sich noch das Auswanderungsfieber gesellte und durch irgend einen gewandten Agenten, Das wird Herr Ackermann sein, die Leute vollends zu ihrer Arbeit keine Lust und Liebe mehr behielten! Ich ließ darum schon heute in aller Frühe genauer nach diesem Herrn Ackermann forschen und erstaune, daß auch er, wie der Letzte und Beste von Allen, über Die ich zu berichten habe –

Endlich der Prinz? unterbrach ihn Melanie mit äußerster Ungeduld.

Nun wol, sagte Bartusch, der Prinz, glaub' ich, ist da. Aber Sie würden mich außerordentlich verbinden, wenn sie in dem äußern Antheil, den Sie an diesem Abenteuer nehmen, mein Fräulein, nicht vergäßen, wie streng die Vorschriften des Justizraths sind und wieviel möglicherweise darauf ankommen kann, ob und wie wir hier mit dem Erben der fürstlich Hohenberg'schen verwickelten Masse zusammentreffen.

Ja, Melanie, sagte nun die Mutter, durch Hackert's Erwähnung streng und ernst gestimmt; laß Bartusch seine ganze Meinung sagen, damit wir wissen, wie wir uns zu verhalten haben.... Des Vaters halbe Existenz beruht auf dieser Administration.

Melanie, befriedigt schon von der Thatsache, daß der vielbesprochene und abenteuerliche Fürst nun wenigstens da war, nahm aus einem der Gläser einige Blumen des Pfarrers und schwebte, ihren Duft einathmend und in sorgloser Spannung sich wiegend, im Zimmer leise auf und ab. Die Melodie, die sie dabei trällerte, störte nicht.

Der dritte Fremde, berichtete Bartusch, kam denn also gestern Nachmittag in einem kleinen Einspänner mit einem sehr ermüdeten Pferde an.

Gestern Nachmittag? unterbrach Melanie. Mit dem kleinen Wägelchen, das wir im Walde trafen? Wir ritten pfeilschnell vorüber. Aber es waren zwei Herren –

Einer nur! sagte Bartusch.

Es waren zwei, erklärte Melanie. Einer faßte nach den Zügeln des scheugewordenen Pferdes, die ihm entfallen waren. Der Andere, der Andere in einer blauen Blouse, war gleichfalls im Wagen aufgesprungen und half ihm. Wir ritten zu schnell, um genauer zu beobachten. Mein Schleier flatterte zu sehr im Winde, die Mienen konnt' ich nicht unterscheiden. Auch waren Beide jung und der Eine... der Eine schien mir viel eleganter, als für den schlechten Wagen paßte....

Von Zweien weiß ich nicht, sagte Bartusch. Der da unten in der Krone abgestiegen ist, hat in der That lichtbraunes Haar, zarte Hände, modernen Bart und gleicht ganz dem Signalement, das uns der Justizrath vom Prinzen gegeben hat. Bald nach ihm kam auf der andern Straße von Randhartingen her der Amerikaner, der sich Ackermann nennt, mit einem Knaben. Der wahrscheinliche Prinz hat keinen Namen genannt. Die eingeschlafenen Gewohnheiten des Nachtbuchs in den Gasthäusern haben ihn auch nicht aufgefodert, einen zu nennen. Beide, der Braunblonde und der Amerikaner, schienen sich fremd und doch haben sie gemein, daß sie sich mit auffallendem Eifer nach den kleinsten Details des Schlosses und der Familie Hohenberg erkundigten. Und noch mehr, Beide fragten nach dem blinden Schmied im Dorfe....

Nach Dem frägt ein Jeder, der mit einem eigenen Wagen kommt und sein Pferd beschlagen lassen will.

O nein –

Sei doch ruhig! sagte die Mutter ernst; und laß Bartusch reden!

O nein, nahm Dieser wieder seine Ermittelung des Thatbestandes wie ein Jurist auf; nicht wegen der Pferdehufe geschah Das. Der Amerikaner fragte nach dem Schmied Zeck und nach dessen alter Schwester, die im Walde beim Förster Heunisch wohnt. Der Prinz aber, wenn er es ist, machte sich mit demselben alten Schmied Zeck zu schaffen, indem er behauptete, ein Schrein der ihm gehöre, wäre kürzlich von einem Fuhrmann, der ihm das Frachtstück aus der Stadt Angerode hätte überbringen sollen, bei einer Reparatur seines Wagens hier entweder verlorengegangen oder nach allen Anzeichen gestohlen worden. Den Lärm wegen jenes Schreins kennen Sie ja! Wie kommt der Prinz zur Kenntniß dieses Vorfalls? Welchen Antheil hat er daran? Ja noch mehr, wie konnte er zu dem alten Zeck sagen: Der Schrein ist gefunden worden, bemüht Euch nicht, mir den Jammer wieder auszumalen, an dem noch Peters krank darniederliegt! Ich reise morgen zurück und lasse den Schrein mir von Dem zurückstellen, der ihn gefunden hat, dem Justizrath Schlurck.

Wie, Schlurck? rief Melanie's Mutter und auch Melanie, die von dem ganzen Vorfall nichts wußte, blickte staunend....

Ich entsinne mich des Morgens, sagte Hannchen Schlurck, wo das Geschrei eines Fuhrmanns das ganze Schloß in Aufruhr brachte. Wir hatten unsern verunglückten Ball gehabt, auf dem nur die Bürgerlichen aushielten. Schlurck war trotzdem von der heitersten Laune. Nachdem wir kaum vom ersten Schlaf erwachten, wird es unter unsern Fenstern laut. Ein Fuhrmann hat, um die Hitze zu vermeiden, in der Nacht statt am Tage fahren wollen. Beim Herabfahren vom Berge, dicht an der Schmiede, bricht die Achse und der Wagen schießt über ihn her. Erst muß er eine Weile so gelegen haben, bis das Bellen seines Hundes die Leute weckt. Noch war hier oben Alles wach. Der Schmied wird aus dem Schlafe gerüttelt. Man packt den Wagen ab. Der Fuhrmann wird in die Schmiede getragen. Man stellt seinen Wagen wieder her. Der arme Mensch kommt zur Besinnung, ladet wieder auf und vermißt einen Schrein, um dessen Wiedererlangung der Mann fast wahnsinnig wird. Er beschwört Alles, was lebt, um sein verlorengegangenes Frachtstück, klagt den Schmied an, das Schloß, das ganze Dorf. Der Justizdirector wird geweckt, man nimmt ein Protokoll auf, der Fuhrmann reist unverrichteter Sache in Verzweiflung wieder ab, und nun sagt Prinz Egon, wenn er es ist, das geraubte Gut befände sich in den Händen meines Mannes? Wie ist das möglich?

Der Fremde scheint darüber so beruhigt zu sein, fuhr Bartusch ebenfalls erstaunt fort, daß zuvörderst dem alten Zeck ein Stein vom Herzen gefallen ist....

Der alte Schmied, sagte die Mutter, hat ein unheimliches Aussehen und erinnerte mich, ich muß es wol sagen, oft an Hackert. Doch achtet man ihn allgemein. Gehört er nicht zu den Frommen, wie auch seine Schwester im Walde?

Die Hexe? ergänzte Melanie. Als wir gestern beim Förster vorbeiritten, graute uns vor dem Gruße der Alten, die unter den Tannen am Wege saß, wie eine der alten schottländischen Nornen....

Wenn diese Leute den Schrein genommen hätten? meinte die Mutter.

Der blinde alte Zeck? bezweifelte Melanie.

Wie käme aber der Vater dazu? Habt Ihr auf seinen Wagen einen solchen großen Schrein, der außerdem noch ganz sonderbar ausgesehen haben soll, aufladen sehen?

Nein! war die Antwort.

Und wenn ihn Schlurck auch gefunden und Ursache hätte, es zu verschweigen, da er vielleicht einen irgendwo vermißten Gegenstand entdeckte, wo hätte er ihn finden sollen? Es war zwei Uhr, als sich das Unglück mit dem Fuhrmann ereignete. Der Schrein ging um zwei Uhr verloren. Schlurck hatte schon lange vor ein Uhr die jüngere forttanzende Gesellschaft verlassen, die Justizdirectorin, die sich mit den Adeligen entfernen zu müssen glaubte, früh nach Hause begleitet und mußte längst wieder zurück sein, da man den Weg hin und her von der Zeisel'schen Wohnung in einer halben Stunde macht....

Mußte zurück sein! sagte Bartusch mit einem Ernste, dem ein boshaftes Lächeln folgte.

Melanie's Mutter fixirte ihn.

Mußte? sagte sie erröthend....

Es trat ein peinlicher Augenblick ein. Offen lagen da plötzlich gewisse geheime Schäden dieser frivolen Familie, die bisher vom absichtlichen Nichtwissenwollen verdeckt waren.... Schlurck verehrte Frau von Zeisel.... Frau von Zeisel war ohne ihren Mann vom Balle gegangen.... man konnte Vermuthungen Raum geben.... man konnte Schlüsse ziehen.... man konnte...

Genug! rief Melanie; weg mit Eurer abscheulichen juristischen Untersuchung! Ist es nicht, als säße man hier auf dem Armensünderstuhl und müßte seine unschuldigsten Erlebnisse zu Protokoll geben! Schämen Sie sich, Bartusch, mit Ihrer grübelnden Weisheit, die doch nichts zu Tage fördern wird, als daß Sie unter Thoren der Thörichtste sind. Ein Schrein – eine Justizdirectorin – zwei – Uhr was ist das Alles? Gehen Sie hinunter in die Krone, richten Sie an den hellbraunen Lockenkopf, der uns hier Fallen legen, auf falsche Fährten bringen und dem Vater, den er haßt, schlimme, böse Streiche spielen will, den Gruß meiner vortrefflichen Mutter, Johanna Schlurck, geborenen Arnemann, aus, und sagen Sie ihm: Diese noch junge, schlanke, sehr liebenswürdige Johanna Schlurck hätte eine Tochter, die verhältnißmäßig jünger, noch schlanker, aber nicht liebenswürdiger wäre als die Mama, und sich erkundigen müsse, ob ihm gestern im Walde mit seinem störrischen Thiere keine Unannehmlichkeit widerfahren wäre? Verstehen Sie? Und die Antwort darauf, fahren Sie fort, die Antwort, würden die Bewohner des Schlosses lieber von ihm selber hören, falls er geneigt wäre, bei uns heute einen Löffel Suppe zu essen. Bürgerlich um halb zwei Uhr. Bist du's zufrieden, Mama?

Die Mutter war noch erschüttert davon, daß Bartusch auf die Artigkeit anspielen konnte, die der Justizrath der Frau von Zeisel erwies....

Einen Korb nehmen wir nicht, fuhr Melanie den Unmuth verscheuchend fort. Das ganze Getriebe von Intriguen zwischen den Häusern Hohenberg und Schlurck, alle diese Feindschaften lass' ich nicht aufkommen. Der Vater soll uns keine Vorschriften machen, die wider die Natur der Frauen gehen. Hier lebe die Galanterie! Sie machen sich sogleich auf den Weg, Bartusch, bei Strafe meiner Ungnade, und knüpfen die Verbindung auf feine diplomatische Art an! Lächeln Sie mir aber nicht etwa, wie's im Hamlet heißt, als wollten Sie sagen: Wir wissen recht gut, Sie sind Prinz Egon, aber wir drücken die Augen zu! Oder: Wir scheinen dumm und sind klug! Wir wollen Sie nur nicht kennen! Verstehen Sie? Nicht so! Will der Prinz sich verborgen halten, so nehmen Sie ihn ernst und heilig für Das, wofür er sich ausgibt, und wär' es ein gewöhnlicher Kammerjäger, der hier oben auf dem Schlosse nur die Ratten und Mäuse verjagen will....

Wer weiß, ob Das nicht seine wahre Absicht ist! sagte die Mutter, die sich jetzt erst sammelte.

Nein, ich stifte Frieden zwischen den Häusern Friedland Piccolomini! sagte Melanie und drängte Bartusch zur Thür hinaus, indem sie ihm noch nachrief:

Halb zwei Uhr steht die Suppe auf dem Tisch!

Bartusch zögerte.

Melanie gab ihm kein Gehör mehr. Sie drückte gewaltsam hinter ihm die Thür zu.

Mutter! sagte sie, jetzt gilt es schön sein!

Sie klingelte und rief ihrem Mädchen.

Bartusch wollte draußen immer noch zweifeln, klopfte, begehrte Einlaß, erinnerte immer noch an das doch nur im Allgemeinen zutreffende Signalement....

Melanie rief hinaus:

Wir werden bald wissen, woran wir sind. Der Wink der Trompetta soll nicht verloren gehen....

Leiser und fast für sich setzte sie hinzu:

Wir werden ihn sehen und uns bald überzeugen, ob er einem jungen Manne ähnlich sieht, den wir ja wol sehr genau kennen, dem guten Siegbert Wildungen.

Damit denn ging Bartusch. Melanie bedeckte die Mutter mit zärtlichen Küssen, umarmte sie, tanzte mit ihr und suchte sie möglichst aufzuheitern. Davon, daß der Geist der Wahrheit, des Ernstes und der heiligen Pflichterfüllung bestimmt schien, hier den von uns geschilderten frivolen Lebensprincipien eine tiefe Demüthigung zu bereiten, konnte sie keine Ahnung haben...

Nicht ohne einen Anflug von Rührung ließ die ernstgestimmte Mutter die Liebkosungen ihres Kindes geschehen und folgte dann der Auffoderung, gemeinschaftlich zu berathen, wie dieser Mittag angeordnet, vor allen Dingen, welche Gäste noch und welche Kleider gewählt werden sollten.

Indem Beide mit der inzwischen eingetretenen Jeannette in das Garderobezimmer traten, schritt Bartusch nachdenklich die Anhöhe herab dem Wirthshause von Plessen zu, genannt: die Krone.

Ende des ersten Buches.

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