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Marienkind

Paul Heyse: Marienkind - Kapitel 5
Quellenangabe
typefiction
authorPaul Heyse
titleMarienkind
publisherVerlag von J. Engelhorns Nachf.
correctorreuters@abc.de
senderwww.gaga.net
created20080309
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Mit beflügelten Schritten, von Zeit zu Zeit einen kleinen Freudenschrei ausstoßend, eilte der glückliche Maler den Abhang hinunter und erreichte seinen Gasthof gerade zur Essensstunde. Es war ihm aber unmöglich, im Gastzimmer unter seinen täglichen Tischgenossen sein Mahl einzunehmen. Unter einem beliebigen Vorwande ließ er sich das Essen auf sein Zimmer tragen, genoß aber nur wenig und warf sich dann auf das kurze, unbequeme Sofa, die Füße über einen Stuhl gestreckt, um ungestört seinen aufgeregten Gedanken nachzuhängen.

Schon einigemale hatte der Blitz der Schönheit mit ähnlicher Gewalt in seinem Herzen gezündet, das letztemal in Verona, wo er im Laden eines Pizzicarol die bildschöne Verkäuferin, ein vollkommenes Exemplar der lombardischen Frauenrasse, mit so verzückten Augen angestarrt halte, daß es selbst der Angestaunten auffiel, so lange sie auch schon an dergleichen Huldigungen gewöhnt war. Zum Glück für unsern jungen Freund machte aber der Gatte kurzen Prozeß, bedeutete ihn höflich, daß hier kein Museum sei, wo man lebende Bilder angaffen dürfe, überreichte ihm seinen aufgeschnittenen, etwas streng duftenden Schinken und komplimentierte ihn zur Thür hinaus.

Andern Tags hatte er ohnehin abreisen wollen, und auf der kühlen Fahrt über den Brenner war der blitzartig entstandne Brand unschädlich wieder erloschen.

Seit er nun der »neuen Richtung« sich zugewandt, hatte er sich zwar geflissentlich alles Schwärmens für schöne Formen enthalten; sein strenges Fasten aber war nicht im stande gewesen, den eingebornen Trieb jeder gesunden jungen Natur zu ersticken, hatte vielmehr heimlich desto mehr Zündstoff in seinem Blute angesammelt, so daß die mystischen Flämmchen unter den bewußten breiten Augenlidern keine sonderliche Mühe hatten, einen lichterlohen Brand anzufachen.

Ihn zu schüren, trug die Hoffnungslosigkeit nicht das wenigste bei. Hier war durch ein leidenschaftliches Werben nichts zu erreichen; das reizende Menschenbild würde sich ewig niemals zu seinem Anbeter herabneigen, sowenig wie irgend eine gemalte Heilige jemals einem verliebten Gläubigen die geringste Gegenliebe geschenkt hat.

Und doch labte sich der Einsame auf seinem harten Lager an diesen selig unseligen Gefühlen, da er sich nach langer selbstauferlegter Entbehrung zum erstenmal wieder in die Gewalt der Schönheit wehrlos ergab. Er verglich im Geiste seine Veroneserin mit diesem Münchener Kinde und war keinen Augenblick in Zweifel, daß die Frau des Pizzicarol hinter der Tochter des Regierungsrats zurückstehen müsse, ganz abgesehen von dem Unterschiede der Düfte eines italienischen Fleischwarenladens und der Rosen und Reseda atmenden Lust in Fräulein Annerls Garten.

Er nahm sich vor, sein Bestes zu thun und sich von den jungen Augen nicht verwirren zu lassen.

Als er jedoch um die bestimmte Stunde, mit seinem Malgerät versehen, wieder zu der Villa hinaufstieg, konnte er sich doch einer zitternden Erregung nicht erwehren und mußte oben ein Weilchen stillstehn, sein Herzklopfen zu beruhigen, ehe er die Klingel zog.

Eine sauber gekleidete Magd führte ihn sogleich die Treppe hinauf in den obern Stock und öffnete ihm die Thür in das geräumige Gemach über dem Fremdenzimmer, das, wie es schien, zum eigentlichen Wohnzimmer der Familie eingerichtet war. Hier stand auch ein Pianino und daneben ein hohes Notenpult für den geigenden Hausherrn. An den Wänden war allerlei Schmuck verbreitet, der auf die fromme Gemütsart der Hausgenossen deutete: ein paar Raffaelische Kupferstiche, eine buntfarbige Madonnenstatuette, zu deren Seiten zwei altertümliche Heiligenbilder in Oel aus einer Fabrik des vorigen Jahrhunderts hingen, in einer Ecke, unter einem ziemlich geschmacklosen Strauß vergoldeter Palmenfächer und Palmkätzchen ein großes vergoldetes Kruzifix mit einem silbernen Weihwasserbecken, vor dem in einem Rubingläschen ein ewiges Lämpchen brannte.

Doch machte der Raum trotz dieses kirchlichen Aufputzes keinen feierlich beklemmenden Eindruck, da die große Glasthür dem Eintretenden gegenüber sich auf die Veranda öffnete, die von üppig blühenden Schlingpflanzen leicht verschattet war und den Ausblick über die Wiesen und zu den fernen, sanftgeschwungenen Bergen gewährte. Der Maler verlor denn auch, sobald er über die Schwelle getreten war, seine Befangenheit. Er fand die ganze Familie bereits versammelt, wurde von dem Hausherrn zwar seufzend, wie immer, aber mit einem herzlichen Händedruck bewillkommnet, von Tante Babette mit einem zutraulichen Kopfnicken begrüßt, und selbst in dem Gesicht des jungen Fräuleins war kein Zug, der einen entschiedenen Widerwillen gegen den Zweck seines Kommens verraten hätte.

Am muntersten zeigte sich der Medizinalrat, der ein Tischchen auf die Veranda hinausgetragen und zwei leichte Rohrstühle rechts und links daneben gestellt hatte. Er fragte dann den Maler, welchen Platz er seinem Modell anweisen wolle, führte das Annerl dorthin und schärfte ihr ein, möglichst freundliche Gedanken zu haben, wie es ja auch beim Photographieren Sitte sei. Er strich ihr dabei leise über das braune Haar und rieb sich, als der Maler seinen Sitz eingenommen, vergnügt die Hände, sichtlich sehr erfreut, daß alles so gut eingeleitet sei.

»Wir wollen den Künstler jetzt nicht weiter stören,« sagte er, dem Hausherrn zuwinkend. »Aller Anfang ist schwer, und der Genius pflegt vor profanen Augen seine Hexenkünste nicht gern zur Schau zu stellen.«

Auf den Zehen gehend, verließ er mit dem Freunde das Zimmer. Nur die Tante blieb zurück, setzte sich in einen bequemen Stuhl nahe der Balkonthür, so daß sie das Nichtchen im Auge behielt, und beschäftigte sich die erste Zeit emsig mit einer Handarbeit.

Als es aber draußen zwischen den Zweien unheimlich still blieb, so daß man nur unten vom Garten hinauf das Schwirren der Heimchen und das leise Plätschern des Springbrünnchens hörte, ging ihr lebhaftes Temperament mit ihr durch, und sie fing an, den Maler nach seinen Verhältnissen, Bekanntschaften und Reisen auszufragen, wobei sich herausstellte, daß sie durch allerlei, freilich weithergesponnene Fäden mit seiner verstorbnen Mutter verbunden war. Das gewann ihm, zumal er in seinen Antworten einen heiteren und doch respektvollen Ton anschlug, bald die volle Sympathie der lebhaften Frau, und sie begann mancherlei hübsche Histörchen aus ihrer Mädchenzeit auszukramen, an denen auch die spätere Frau Florian einen Anteil gehabt. So sprach sie schließlich allein, was dem Maler das liebste war.

Denn seine ganze Seele war in seinen Augen, und er bot alle Kunst und Hingebung auf, das Gesicht, das so regungslos wie ein in Marmor gemeißeltes Heiligenfigürchen ihm gegenüber saß, mit seinen, lebensvollen Zügen nachzubilden.

Er hatte sie so den Kopf zu wenden gebeten, wie er sie bei jenem ersten Begegnen auf der freien Landstraße lange betrachtet hatte, die Gestalt ihm von vorn zugekehrt, das Gesicht aber fast ganz im Profil, die Augen ruhig ins Weite gerichtet. Je genauer er sie studierte, desto mehr wurde er von dem Zauber dieser jungen Anmut hingerissen, so daß er oft eine Minute lang den Pinsel ruhen ließ und über dem Anschauen das Nachbilden versäumte.

Mehr und mehr aber fiel ihm die tiefe Weltentrücktheit aufs Herz, in welcher das schöne junge Wesen alles über sich ergehen ließ, ohne selbst durch das geringste Erglühen zu verraten, daß ihr die unverhohlene Bewunderung des jungen Meisters irgend welchen schmeichelhaften Eindruck mache. Auch die drolligen Geschichtchen der Tante schienen in ihren kleinen Ohren nicht anders zu klingen, als das Vogelgezwitscher in den Gartenbüschen. Dabei sah sie nicht eigentlich traurig aus ihren geheimnisvollen Augen ins Weite, nur wie von einem magischen Traum umgeben, der die Gestalten des wachen Lebens ihrem Geiste fern hielt.

»Ob sie am Ende doch ein wenig dumm ist?« sagte sich der Maler, während er frisch fortarbeitete. Er nahm sich zwar diesen ehrenrührigen Gedanken sogleich übel und bat ihn dem stillen Gesicht ihm gegenüber reumütig ab. Ein leiser Verdacht aber blieb dennoch in ihm zurück. War's nicht ganz unbegreiflich, daß die Gegenwart eines so schmucken jungen Mannes, der gewohnt war, daß die Weiber ihn mit Interesse betrachteten, nicht den geringsten Eindruck auf dies junge Mädchen machte? Daß sie nicht mehr dabei fand, von ihm gemalt zu werden, als wenn ein Schneider ihr zu einem neuen Kleide das Maß genommen hätte? Nicht einmal eitel zu sein, was doch das Recht und die Pflicht ihres Geschlechts ist, – so steif dazusitzen in der häßlichen, hoch zugebundenen Pelerine – halten nicht sogar die Madonnen und Heiligen in ihren Kapellen auf hübsche Kleider? – Nein, in diesem reizenden Kopf mußte etwas nicht in Ordnung, irgend ein Schräubchen losgegangen sein!

Der Eintritt des Vaters und des alten Hausfreunds unterbrach diese grübelnde Betrachtung.

»Kann man schon etwas sehen?« rief der alte Herr, hinter den Maler tretend. »Aber das ist ja die reine Hexerei! Sehen Sie nur, Frau Babette, unser Annerl, wie sie leibt und lebt.«

»Ich habe nur erst den Kopf angelegt; es wäre mir lieb, wenn das Fräulein sich entschließen könnte, ein andres Kleid zu wählen. Der weiße Kragen ist sehr unvorteilhaft und verdeckt völlig den Ansatz des Halses« – sagte der Maler.

Die Tante und der Vater waren hinzugetreten, beide drückten ihre Bewunderung aus, der Vater nicht ohne einen stillen Seufzer.

»Wie aus dem Spiegel gestohlen!« rief die Tante. »Schau einmal her, Annerl! Gefällst du dir so? Und freilich mußt du den Kragen herunterthun. So als ewige Pensionärin dazusitzen – mich thät's nicht freuen, wenn ich du wär'!«

»Ich will so bleiben, Tante,« erwiderte das Mädchen, einen gleichgültigen Blick auf das Blatt werfend. »Ihr habt mich ja doch auch meistens so gesehen.«

Es waren die ersten Worte, die Franz Florian von diesen schwellenden roten Lippen hörte. Die Stimme dünkte ihm so lieblich, wie die ganze Person, und auch wie sie selbst ein wenig umschleiert.

»Nun, das überlegen wir noch,« fiel der Medizinalrat hurtig ein, der Tante zublinzelnd. »Aber nicht wahr, Frau Gevatterin, wer hätte gedacht, als wir das Würmchen vor siebzehn Jahren zusammen aus der Taufe hoben, daß es sich einmal in schönen Farben so wie eine kleine Prinzessin ausnehmen würde? Erinnert sie Sie nicht an gewisse Giorgiones, lieber Freund?«

»Eher an Paul Delaroche. Der Typus ist doch moderner.«

»Gleichviel. Sie werden da was Schönes zu stande bringen. Wenn der Herr Florian vor siebzehn Jahren die Frau Tante gemalt hätte, da hätte man noch heute seine Freude dran, gelt, Frau Gevatterin? Schade, daß die alten kanonischen Gesetze verbieten, daß Gevattersleute sich heiraten. Wir wären ein schönes Paar gewesen, und könnten uns noch sehen lassen.«

»Was Sie sich einbilden, Herr Gevatter! Ich wäre langst unter der Erde, wenn ich Sie geheiratet hätte.«

»Da sehen Sie nun, lieber Freund, mit welchen Vorurteilen meine Frau Gevatterin mich betrachtet,« sagte der alte Herr lachend. »Sie hat sie von ihrem Manne geerbt. Der Selige war Apotheker und glaubte klüger zu sein, als alle Aerzte, obwohl er elend hätte verhungern müssen, wenn kein Arzt ein Rezept geschrieben hätte. Er behauptete, wir tappten im Finstern und verordneten heute das Gegenteil von dem, was wir gestern verschrieben. Er müsse das am besten wissen.«

»Wußte er's nicht auch am besten? Und lebte er nicht vielleicht heute noch, wenn er in seiner letzten Krankheit Sie nicht gerufen hätte?«

»Sie werden mir noch gar auf den Kopf zusage»:, liebe Frau Babette, ich hätte ihn umgebracht, um Sie dann heimführen zu können. Isidor, was sagst du? Glaubst du, daß du einen Mörder unter deinem Dache beherbergst?«

Die Tante lachte nun selbst, und sogar der seufzende Hausherr brachte es zu einem stillen Lächeln. Nur das Gesicht der Tochter hellte sich nicht auf. Sie hatte die Blätter des Skizzenbuchs umgeschlagen und die Studien betrachtet, ohne sonderliches Interesse. Franz Florian machte eine Bewegung des Erschreckens.

»Bitte, mein Fräulein,« rief er, das Buch ihr aus der Hand nehmend, »an diesen Klexereien ist nichts, was Sie erfreuen könnte. Ich hatte nur kein andres Blatt für Ihr Bildnis. Ueberhaupt bedaure ich, daß ich auf Wasserfarben beschränkt bin. Wenn es Ihnen recht wäre, Herr Regierungsrat, ließe ich mir eine Leinwand und Oelfarben kommen. Ich würde dann erst hoffen, die Aufgabe vollkommen zu meiner eignen Zufriedenheit zu lösen.«

»Ich bin schon für das Aquarell sehr dankbar,« versetzte der Hausherr, »und verspreche mir das beste von diesem Anfang. Aber du scheinst ein wenig abgespannt, Kindchen. Ich dächte, wir ließen es heute dabei, und Sie kämen morgen zur zweiten Sitzung.« Franz Florian stellte sich am nächsten Nachmittage zu derselben Stunde pünktlich ein. Seine stille Hoffnung aber, das Fräulein würde die Institutsuniform mit einem kleidsameren Gewande vertauscht haben, wurde nicht erfüllt. Heute fand er die Herren nicht anwesend; sie hatten eine Wanderung zu einer nahen Aussichtshöhe gemacht. Auch die Tante bezog nicht so unentwegt wie gestern ihren Posten als Anstandsdame, sondern ging, nachdem die Sitzung begonnen hatte, in häuslichen Geschäften ab und zu. Der Maler hatte sich zugeschworen, heute – es koste, was es wolle – das Eis zu brechen und dahinter zu kommen, wes Geistes Kind das schöne Geschöpf ihm gegenüber sei. So begann er, nachdem er ein Weilchen schweigend fortgearbeitet hatte, das Wort an sie zu richten:

»Werden Sie noch lange hier draußen bleiben, mein Fräulein?«

»Bis die Ferien zu Ende sind, bis Mitte September.«

»Es ist schön hier im Hause Ihres Herrn Vaters. Sie verlassen es doch wohl nicht gern?«

»O, es ist noch schöner im Institut, wenn wir auch die Berge nicht so nah haben.«

»Sie haben aber doch wohl zuweilen ›Zeitlang‹ nach Ihrem Papa und der guten Frau Tante?«

Sie schwieg einen Augenblick; dann sagte sie, ehrlich ihn anblickend: »Nein. Es ist vielleicht unrecht, aber ich habe meine Freundinnen und die Lehrerinnen die ich liebe, und – der Papa braucht mich nicht.«

»Wenn Sie aber in die Stadt zurückkehren, werden Sie auch dort Freundinnen haben, und an Lehrern, falls Sie fortstudieren wollen, fehlt's Ihnen auch nicht, und dann ist's viel lustiger dort, als in dem einsamen Kloster, für ein erwachsenes Fräulein.«

Sie rümpfte ein wenig das feine Näschen.

»Meinen Sie? Sie stellen sich das Kloster wohl auch so vor, wie die meisten, die es nicht kennen. Und wie sollten Sie auch eine richtige Ansicht davon haben? Es kommt kein Mann hinein, außer dem Beichtvater, dem Klosterarzt und dem Tanzlehrer.«

»Dem Tanzlehrer? Was tausend! Sie haben auch Tanzstunde bei Ihren frommen Klosterfrauen?«

Nun lächelte sie doch ein wenig über sein unverstelltes Erstaunen.

»Glauben Sie, daß wir immer nur beten?« sagte sie, das Mündchen spöttisch verziehend. »Wir sind sehr vergnügt, und auch die Lektionen greifen uns nicht übermäßig an, außer etwa die ganz Talentlosen. Jeden Tag dürfen wir zweimal spazieren gehen.«

»Im Klostergarten natürlich,«

»Nein, auch draußen im Feld und in den nahen Wäldern, und pflücken Erdbeeren und Himbeeren und singen dabei oder spielen allerlei Spiele. In dem Karneval aber, sechs Wochen lang, haben wir Tanzstunde, da kommt ein alter Franzose mit einer Geige, er ist aber noch ganz rüstig und macht uns die Pas vor und spricht ein so schönes Französisch. Dabei sind jedoch nur die Lehrerinnen zugegen. Die Klosterfrauen, die nicht unterrichten, leben für sich, wir sehen sie nur in der Kirche. Aber sie sind auch alle ganz heiter und haben auch Grund dazu. Es fehlt ihnen nichts, die Oberin ist eine so gütige Dame, eine Gräfin von Geburt, o so gütig! Ihr nur die Hand küssen zu dürfen, ist schon ein großes Glück.«

»Eine Gräfin?«

»Aus einem sehr guten Geschlecht, das aber nicht sehr reich war. Und« – fügte sie ein wenig zögernd hinzu – »sie soll Schicksale gehabt haben, und das hat ihr die Welt verleidet.«

»Was mögen das für Schicksale gewesen sein?« fragte er mit der unbefangensten Miene.

Sie antwortete nicht. Es trat wieder eine längere stumme Pause ein. Die Tante kam auf die Veranda, belobte die Fortschritte, die das Bild inzwischen gemacht, bedauerte, daß das Annerl seinen Kopf darauf gesetzt habe, den weißen Kragen nicht herunterzuthun, wozu das Mädchen beharrlich schwieg, und ließ die beiden dann wieder allein.

»Warum bestehen Sie darauf, Fräulein Annerl,« fing der Maler wieder an, »sich so einzumummen? Ich verlange ja kein dekolletiertes Ballkleid, nur um den breiten weißen Fleck möcht' ich herumkommen und noch ein Streifchen vom Halse sehen lassen.«

»Ich will auf dem Bilde nicht anders erscheinen, als ich gerade bin,« erwiderte sie ganz gelassen, »Wem ich so nicht recht bin, der mag mich nicht anschauen.«

»Aber in der Stadt werden Sie doch nicht so herumgehen können?«

»Ich werde in der Stadt überhaupt nicht herumgehen. Ich bleibe im Kloster.«

Er ließ mit gut gespieltem Schreck den Pinsel fallen.

»Was sagen Sie da, Fräulein Annerl? Sie wollen Klosterfrau werden?«

Sie nickte; eine stille schwärmerische Entschlossenheit glänzte ihr in den Augen.

»Aber bestes Fräulein,« rief er, »das kann doch Ihr Ernst nicht sein. Ich will ja glauben, daß Sie es sehr gut in Ihrem Kloster gehabt haben und noch manchmal sich dahin zurücksehnen werden, wenn das Leben in der Welt mit seinen mancherlei schweren Stunden und widerwärtigen Prüfungen Ihnen zu schaffen macht. Auch begreife ich, daß man einen solchen Zufluchtsort aufsucht, wenn man, wie Sie von der Frau Oberin sagen, Schicksale gehabt hat. Aber Sie, so jung und von den Ihrigen geliebt und – verzeihen Sie, es soll keine alberne Schmeichelei sein, – so schön, wie Sie sind, was können Sie für Schicksale erlebt haben, die Ihnen die Welt verleidet hätten, daß Sie Ihrem guten Papa den Schmerz machen müßten, für immer von ihm Abschied zu nehmen und sich bei lebendigem Leibe in einer dumpfen Klosterzelle einzusargen?«

Er hatte gesehen, wie ihr während seiner lebhaften Rede das Blut in die glatten, blassen Wangen gestiegen war, und fürchtete schon, sie werde sich gekränkt erheben und es verschmähen, einem Menschen, der sich so unberufen in ihre heiligsten Angelegenheiten mischte, überhaupt zu antworten.

Sie blieb aber ruhig sitzen. Nur die weiße Pelerine hob und senkte sich etwas rascher über dem jungfräulichen Busen.

»Hat mein Papa Ihnen aufgetragen, so mit mir zu sprechen?« fragte sie, ihn argwöhnisch anblickend.

»Wo denken Sie hin, Fräulein! Wer, dem Sie diese Eröffnung machten, würde nicht ganz aus eignem Antriebe ebenso sprechen?«

»Es mag sein,« fuhr sie nach einer Weile vor sich hin sinnend fort, »daß fremde Menschen das nicht verstehen. Ich bin aber niemand als Gott und der Jungfrau Rechenschaft darüber schuldig, da ich nur thue, was mir die innere Stimme vorschreibt. Schon seit Jahr und Tag hat sie mir zuweilen zugeflüstert: geh nicht von hier fort, es ist nicht zu deinem Heil. Die Welt ist nicht so schön, daß sie dir Ersatz bieten könnte für das, was du hier aufgibst.«

»Die Welt? Was wissen Sie denn von ihr? Was haben Sie bisher von ihr gesehen?«

»Ich kenne freilich nur meine Nächsten, und die habe ich lieb. Aber ich habe so manches gelesen und weiß, es ist ein heiliges Wort unsres Herrn Jesu: ›Mein Reich ist nicht von dieser Welt‹. Können Sie's leugnen, daß auch Ihnen die Welt nicht schön vorkommt? Haben Sie da in Ihrem Buch nicht so vieles gemalt, was garstig oder schmutzig ist? Und wenn die Welt so gar schön wäre, würden Sie nicht lieber lauter schöne Dinge und Menschen in das Buch eingetragen haben?«

Diese unbefangene Bemerkung machte ihn so verwirrt, daß er nicht gleich darauf zu antworten wußte. »O,« stammelte er endlich, »das ist nur so eine verrückte Laune von mir gewesen. Zu Hause habe ich eine Menge Studien und Skizzen, die Ihnen schon zeigen würden, wie schön die Welt ist, nicht bloß in dem gelobten Lande Italien, sondern auch ganz in der Nähe. Aber die Welt mag nun schön oder häßlich sein, glauben Sie, daß unser Herrgott uns darauf erschaffen hat, damit wir uns zwischen vier Mauern einsperren und nur immer dieselben andächtigen Worte hersagen, wo es doch so viel Werke zu thun gibt und Menschen, die wir glücklich machen könnten, wenn wir mit ihnen lebten?«

»Man kann andre nicht glücklich machen, wenn man mit seinem eignen Gewissen nicht im Frieden lebt,« erwiderte sie so ruhig, als ob sie ein eingelerntes Sprüchlein hersagte. Ihre gleichmütige Miene verriet, daß ein geistliches Hochmütchen hinter dieser jungen Stirn sich eingenistet habe, unzugänglich gegen alles profane Zureden. Dem Maler kam das zum Bewußtsein, wie er sie jetzt betrachtete und den strengen Blick dieser reizenden Augen gewahrte. Mit einem tiefen Seufzer tauchte er den Pinsel ein und malte an den braunen Flechten.

Da sie sich aber einmal herabgelassen hatte, überhaupt auf so unbefugte Fragen einzugehen, fuhr sie nach einer Weile fort: »Mein Vater kann mich sehr gut entbehren, der hat die Tante bei sich. Meine selige Mutter aber, davon bin ich überzeugt, würde mich segnen, wenn ich sie um ihre Einwilligung befragen könnte. In unsrer Kirche über einem Seitenaltar ist das Bild der heiligen Anna, ein uraltes, schon fast ganz vom Kerzenrauch geschwärztes Gemälde, aber da es die Namensheilige von meinem Mutterl war, die mich ja auch so genannt hat, bet' ich am liebsten dort in dem Kapellerl. Und am Abend des Tages, wie ich Marienkind geworden bin –«

»Marienkind?«

Sie errötete wieder ein wenig.

»Wenn sich eine von den Zöglingen besonders gut aufgeführt hat, immer fleißig und gehorsam gewesen ist, bekommt sie im letzten Jahr vor ihrem Austritt eine Medaille, die sie immer tragen muß, und wird dann zum Marienkind erklärt.«

»Und Sie haben diese Auszeichnung erhalten?«

Statt der Antwort nestelte das fromme Kind vorn an seinem Kleide und zog an einem Schnürchen ein kleines rundes Silberplättchen hervor, das sie an ihrer unschuldigen Brust versteckt getragen hatte. Der Maler beugte sich über den Tisch zu ihr hinüber und betrachtete das Schaumünzchen, das sie ihm mit ihren schlanken Fingern hinhielt. Auf der Vorderseite trug es das Bild der Madonna, in ganzer Figur, auf der Rückseite das Brustbild eines Heiligen.

»Wer ist das?« fragte der Maler.

»Der heilige Aloysius. Er wird ganz besonders bei uns verehrt. Ich kann Ihnen aber nicht sagen, warum.«

Franz Florian beschaute die Medaille sorgfältig, sagte aber kein Wort, nickte nur und setzte sich mit einem Seufzer wieder auf seinen Platz.

»Nun?« machte er nach einer Weile, da sie inzwischen das heilige Kleinod sorgfältig wieder in sein Versteck hatte zurückschlüpfen lassen; »an jenem Tage also –«

»Ich will es Ihnen nur gestehen,« flüsterte sie, in sichtbarer Verwirrung, »ich war recht eitel auf diese Ehre, ich dachte, ich wäre nun etwas Besseres, als meine Kameradinnen, und die Mutter Gottes sei verpflichtet, mich zeitlebens in ihren besonderen Schutz zu nehmen. Und so ging ich in meinen hoffartigen Gedanken noch abends spät in die Kirche und kniete vor dem Sankt Annenaltar nieder und wollte recht andächtig beten. Aber es war seltsam, ich konnte mich auf kein Gebet besinnen, immer dachte ich an die Medaille, und lag so wohl eine Stunde lang, bis mir ganz heiß und angst wurde. Und da auf einmal kam mir eine Erleuchtung, was ich für ein armes sündhaftes Ding sei in meinem Stolz, und daß die Mutter Gottes mich nicht als ihr gutes Kind ans Herz nehmen würde, und daß mir's in der Welt ohne ihren Schutz schlimm gehen müsse, und was ich sonst für traurige und schreckhafte Gedanken hatte. Da bat ich in meiner Angst und Not die heilige Anna, mir beizustehen und mich von Sünden zu retten, und da gab sie mir ins Herz, daß ich mich dem Himmel verloben und aller weltlichen Eitelkeit absagen sollte, und das that ich und gelobte mir feierlich, ich wollte, wenn die Schulzeit um sei, als Novize eintreten, und wenn ich die zwei Probejahre durchgemacht hätte, den Schleier nehmen. So ist das gekommen, und nun begreifen Sie wohl, daß nichts in der Welt mich in meinem Gelübde irre machen kann.«

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