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Bilderbuch ohne Bilder

Hans Christian Andersen: Bilderbuch ohne Bilder - Kapitel 1
Quellenangabe
typefiction
authorHans Christian Andersen
titleBilderbuch ohne Bilder
publisherPhilipp Reclam jun. Leipzig
translatorEdmund Zoller
correctorreuters@abc.de
senderwww.gaga.net
created20060906
projectid60ab1870
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Es ist seltsam! wenn ich am wärmsten und tiefsten fühle, ist es, als ob mir Hände und Zunge gebunden wären; ich kann es nicht so wiedergeben, nicht so aussprechen, wie es in mir lebendig ist; und doch bin ich Maler, das sagt mir mein Auge, das haben alle anerkannt, welche meine Skizzen und Bilder sahen.

Ich bin ein armer Bursche, ich wohne drüben in einer der engsten Gassen, aber das Licht fehlt mir nicht, denn ich wohne hoch droben, mit der Aussicht über alle Dächer. Die ersten Tage, als ich in die Stadt hereingekommen, war es mir so eng und einsam; statt des Waldes und der grünen Hügel hatte ich jetzt nur die grauen Schornsteine als Horizont. Nicht einen Freund besaß ich hier, nicht ein bekanntes Gesicht grüßte mich.

Eines Abends stand ich recht betrübt an meinem Fenster, ich öffnete es und sah hinaus. Nein, wie ich da froh wurde! Ich sah ein Gesicht, das ich kannte, ein rundes, freundliches Gesicht, meinen besten Freund von fern aus der Heimat: es war der Mond, der liebe, alte Mond, unverändert derselbe, gerade wie er aussah, als er dort zwischen den Weiden am Moor zu mir hereinschaute. Ich warf ihm Kußhände zu und er schien gerade in mein Zimmer herein und versprach, daß er jeden Abend, wenn er ausgehe, ein wenig zu mir hereinsehen wolle; das hat er auch seitdem ehrlich gehalten. Schade, daß er nur so kurz bleiben kann. Jedesmal, wenn er kommt, erzählt er mir das eine und andre, was er die Nacht zuvor oder am selben Abend gesehen. »Male nun das, was ich erzähle,« sagte er bei seinem ersten Besuch, »dann wirst du ein recht hübsches Bilderbuch bekommen.« Das habe ich denn seit vielen Abenden getan. Ich könnte in meiner Art eine neue »Tausendundeine Nacht« in Bildern geben, aber das wäre doch zu viel; die, die ich gebe, sind nicht ausgewählt, sondern folgen aufeinander, wie ich sie gehört; ein großer, genialer Maler, ein Dichter oder Tonkünstler mag mehr daraus machen, wenn er will; was ich zeige, sind nur flüchtige Umrisse auf dem Papier und dazwischen meine eignen Gedanken, denn der Mond kam nicht jeden Abend, zuweilen schob sich eine Wolke, wohl auch zwei dazwischen.

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