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Tausend und eine Nacht. Band X

Max Henning: Tausend und eine Nacht. Band X - Kapitel 22
Quellenangabe
type
authorUnbekannte Autoren
titleTausend und eine Nacht. Band X
publisherVerlag von Philipp Reclam jun.
yearo.J.
firstpub1895
translatorMax Henning
correctorJosef Muehlgassner
senderwww.gaga.net
created20150411
projectidbbb389ae
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Fünfhundertundsiebenundfünfzigste Nacht.

In dieser Weise verbrachte ich die Zeit bis zum Abend wie ein Toter von all der Anstrengung und Furcht, ohne irgend eine Stimme zu vernehmen oder ein menschliches Wesen zu gewahren. Als die Nacht hereinbrach, schlief ich ein und lag bis zum Morgen da, worauf ich mich erhob und unter den Bäumen einherschritt, als ich einen von einer laufenden Quelle gespeisten Bewässerungskanal erblickte, neben welchem ein hübscher Scheich saß, der mit einem Lendenschurz aus Baumblättern bekleidet war. Da sprach ich bei mir: »Vielleicht gehört dieser Scheich zu den Schiffbrüchigen und rettete sich ebenfalls an diese Insel.« Hierauf trat ich nahe an ihn heran und begrüßte ihn, doch erwiderte er mir den Salâm nur durch ein Zeichen, ohne ein Wort zu sprechen. Dann fragte ich ihn: »O Scheich, warum sitzest du hier an dieser Stätte?« Er schüttelte hierzu mit dem Kopfe und stöhnte, gab mir dann aber durch einen Wink zu verstehen, ich sollte ihn auf den Nacken nehmen und ihn auf die andere Seite des Kanals tragen. Da sprach ich bei mir: »Ich will gütig gegen ihn sein und ihn an den gewünschten Platz tragen; vielleicht belohnt mich Gott dafür.« Und so trat ich denn an ihn heran, nahm ihn auf meine Schultern und trug ihn an den Ort, den er mir bezeichnet hatte, worauf ich zu ihm sagte: »Steig langsam herunter.« Er stieg jedoch nicht von den Schultern herunter, und, wie ich nun nach seinen Füßen sah, die er fest um meinen Nacken geschlungen hatte, sah ich, daß sie schwarz und rauh waren, als wären sie mit Büffelhaut bekleidet, so daß ich erschrak und ihn von meinem Nacken werfen wollte. Da aber preßte und würgte er meinen Hals so stark mit seinen Beinen, daß mir die Welt vor den Augen schwarz wurde und ich, die Besinnung verlierend, ohnmächtig wie ein Toter zu Boden stürzte, während er nun seine Schenkel hob und mir mit den Füßen den Rücken und die Schultern so schmerzhaft bearbeitete, daß ich mich wieder, so müde ich auch von seiner Last war, erhob. Alsdann gab er mir mit der Hand ein Zeichen, ihn unter die Bäume zu den schönsten Früchten zu tragen, und, sobald ich mich nicht fügte, schlug er mich mit seinen Füßen schmerzhafter als wie mit Geißeln. In dieser Weise mußte ich ihn nach seinen Winken wie ein Gefangener überall auf der Insel unter den Bäumen umhertragen; kam ihn ein Bedürfnis an, so beschmutzte er meine Schultern, ermattete ich oder säumte ich ein wenig, so schlug er mich, weder bei Tag noch bei Nacht stieg er ab, und, wenn er schlafen wollte, so schlang er seine Füße um meinen Nacken und schlief ein wenig. Dann erhob er sich wieder und schlug mich, worauf ich schnell aufsprang, unfähig, mich ihm wegen der großen Schmerzen, die ich durch ihn erduldete, zu widersetzen, und mich für das Mitleid, das ich für ihn gehabt hatte, indem ich ihn auf die Schultern nahm; tadelnd. In dieser Weise verlebte ich geraume Zeit unter der größten Mühsal, indem ich bei mir sprach: »Ich habe dem da Gutes erwiesen, und er hat es mir mit Bösem vergolten. Bei Gott, mein Leben lang will ich keinem mehr Gutes erweisen!« und in all meiner Mühsal und Plage wünschte ich mir fort und fort von Gott, dem Erhabenen, den Tod herbei. Da begab es sich eines Tages, daß ich ihn nach einer Stelle auf der Insel trug, auf welcher ich viele Kürbisse erblickte, unter denen sich auch eine Menge trockener befanden. Von letzteren nahm ich einen großen, schnitt ihn am Kopfende auf, leerte ihn aus und ging mit ihm zu einem Rebenbaum, wo ich ihn mit dem Saft der Traube füllte. Dann verschloß ich die Öffnung, legte den Kürbis in die Sonne und ließ ihn einige Tage liegen, bis der Saft zu starkem Wein geworden war, worauf ich Tag für Tag von ihm trank, um mich unter all der Plackerei, die ich von diesem rebellischen Satan zu erleiden hatte, aufrecht zu erhalten, und, so oft ich trunken ward, fühlte ich mich neubelebt. Eines Tages, als er mich trinken sah, fragte er mich durch ein Zeichen seiner Hand: »Was ist das?« Ich erwiderte ihm: »Das ist ein feiner Trank, der das Herz stärkt und die Seele belebt.« Hierauf lief ich und tanzte in meiner Trunkenheit mit ihm unter den Bäumen, klatschte mit den Händen, sang und war ausgelassen und fröhlich. Als er mich nun in diesem Zustande sah, winkte er mir, ihm ebenfalls den Kürbis zum Trinken zu reichen, und in meiner Furcht vor ihm reichte ich ihm denselben. Da trank er allen Wein, der sich noch darin befand, aus, und warf den leeren Kürbis auf die Erde; bald darauf wurde er ausgelassen, hüpfte auf meinen Schultern hin und her und wurde nach und nach so berauscht, daß alle seine Glieder und Muskeln erschlafften, und er auf meinen Schultern hin und her wankte. Als ich nun merkte, daß er vor Trunkenheit seiner Sinne nicht mehr mächtig war, streckte ich meine Hand nach seinen Füßen aus, löste sie von meinem Hals, neigte mich dann mit ihm nieder, setzte mich und warf ihn auf den Boden.

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