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Tausend und eine Nacht. Band X

Max Henning: Tausend und eine Nacht. Band X - Kapitel 68
Quellenangabe
type
authorUnbekannte Autoren
titleTausend und eine Nacht. Band X
publisherVerlag von Philipp Reclam jun.
yearo.J.
firstpub1895
translatorMax Henning
correctorJosef Muehlgassner
senderwww.gaga.net
created20150411
projectidbbb389ae
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Sechshundertunddritte Nacht.

Da versetzte der Prinz: »Ich hörte, daß einmal ein Kaufmann, in dessen Wohnung ein Gast eingekehrt war, seine Sklavin ausschickte, ihm auf dem Bazar einen Krug Sauermilch zu kaufen. Wie nun die Sklavin die Milch nahm und mit ihr zu ihres Herrn Wohnung heimkehrte, flog ein Habicht an ihr vorüber, der in seinen Krallen eine Schlange gefangen hielt und fest zusammenpreßte; und ein Tropfen vom Gift der Schlange fiel in den Krug, ohne daß die Sklavin es merkte. Als sie nun zu ihrem Herrn zurückgekehrt war, nahm derselbe den Krug, und er und seine Gäste tranken von ihm. Kaum war jedoch die Milch in ihren Magen gelangt, da starben alle miteinander. Nun schau, o König, wer an diesem Unfall schuld hatte.« Einer der Anwesenden versetzte: »Alle haben schuld, weil sie von dem Kruge tranken;« ein anderer wieder meinte: »Die Sklavin hat schuld, weil sie den Krug nicht mit einem Deckel zudeckte;« Sindbad, der Erzieher des Jünglings, aber fragte ihn: »Was sagst du hierzu, mein Sohn?« Da sagte der Prinz: »Ich sage, die Leute irren; weder die Sklavin noch sie allesamt haben schuld, sondern der Termin der Leute war abgelaufen mit ihrem von Gott verliehenen Unterhalt, und ihr Geschick war auf solche Weise beschlossen.« Als die Anwesenden dies Urteil vernahmen, verwunderten sie sich höchlichst und erhoben ihre Stimmen, indem sie den Prinzen segneten und zu ihm sagten: »O unser Herr, du hast eine Antwort ohnegleichen erteilt und du bist der weiseste Mann deiner Zeit.« Der Prinz entgegnete jedoch: »Ich bin kein Weiser, denn der blinde Scheich, der dreijährige und der fünfjährige Bube waren weiser als ich.« Da baten ihn alle Anwesenden: »Erzähle uns doch, o Jüngling, die Geschichte dieser drei, die weiser als du waren.« Und der Prinz erzählte:

 

Der Sandelholzhändler und die Spitzbuben.

»Mir kam zu Ohren, daß einmal ein sehr reicher Kaufmann lebte, welcher viel reiste und alle Städte aufsuchte. Einmal wollte er wieder nach einer Stadt reisen und fragte deshalb die Leute, die von dort kamen: »Welche Ware bringt dort guten Gewinn ein?« Die Leute antworteten ihm: »Sandelholz, denn es hat dort einen hohen Preis.« Da kaufte er für all sein Geld Sandelholz ein und reiste nach jener Stadt, bei welcher er, als er gegen Abend dort eintraf, einer Frau begegnete, welche ihre Schafe vor sich hertrieb. Als die Frau den Kaufmann erblickte, fragte sie ihn: »Wer bist du, Mann?« Er antwortete: »Ich bin ein fremder Kaufmann.« Da sagte sie zu ihm: »Nimm dich vor den Leuten dieser Stadt in acht, denn es sind verschlagene Spitzbuben, die den Fremdling begaunern, um ihn in ihre Finger zu bekommen und sein Gut zu fressen. Mein Rat ist gut.« Mit diesen Worten verließ sie ihn.

Am nächsten Morgen begegnete er einem Mann aus der Stadt, der ihn begrüßte und fragte: »Mein Herr, woher kommst du?« Er versetzte: »Ich komme aus der und der Stadt.« – »Und was für Waren hast du mitgebracht?« Der Kaufmann erwiderte: »Sandelholz, denn ich vernahm, daß es bei euch Wert hat.« Der Mann entgegnete ihm jedoch: »Wer dir dies riet, irrte sich, denn wir brennen unter unsern Kochtöpfen kein anderes Holz als Sandelholz, und es hat denselben Wert bei uns als ganz gewöhnliches Brennholz.« Als der Kaufmann den Städter so reden hörte, seufzte er voll Reue und schwankte zwischen Glauben und Unglauben. Hierauf kehrte er in einem der Chane der Stadt ein und machte zur Nacht unter seinem Topf ein Feuer von Sandelholz an. Als jener Mann dies sah, fragte er ihn: »Willst du mir dein Sandelholz verkaufen und für jedes Maß nehmen, was deine Seele verlangt?« Da versetzte der Kaufmann: »Ich verkaufe es dafür,« worauf der Mann alles Sandelholz, das er mit sich gebracht hatte, nach seiner Wohnung schaffte, während der Verkäufer von dem Käufer dieselbe Quantität Gold zu fordern beabsichtigte. Am nächsten Morgen wanderte der Kaufmann durch die Stadt und traf hierbei einen blauäugigen Menschen an, der ebenfalls zu den Bewohnern jener Stadt gehörte und nur ein Auge hatte. Da hängte sich derselbe an den Kaufmann und rief: »Du bist's, der mir mein Auge gestohlen hat, nun laß ich dich nicht mehr los.« Der Kaufmann leugnete es und sagte: »Das ist unmöglich,« während sich die Leute um den Einäugigen versammelten und ihn baten, sich bis morgen mit der Entschädigung für sein Auge zu gedulden, worauf der Kaufmann ihm einen Bürgen stellte, damit sie ihn losließen. Hierauf schritt der Kaufmann weiter; da aber seine Sandalen in dem Handgemenge mit dem Einäugigen zerrissen waren, blieb er bei dem Laden eines Schuhflickers stehen und gab sie ihm mit den Worten: »Flicke sie, du sollst dafür von mir einen dich zufriedenstellenden Lohn erhalten.« Hierauf ging er wieder weiter, als er mit einem Male auf Leute stieß, welche dasaßen und spielten. Da setzte er sich aus Gram und Kummer zu ihnen und spielte auf ihre Einladung hin mit ihnen, bis sie ihn überkamen und ihm die Wahl ließen entweder den Strom auszusaufen oder all sein Geld herauszurücken. Man denke hierbei an ein Pfänderspiel mit ähnlichen scherzhaften Pfänderauslösungen wie bei uns, welche von den Schelmen jedoch für Ernst genommen werden. Da bat der Kaufmann sie, ihm bis morgen Frist zu gewähren, und ging bekümmert, ohne zu wissen, was mit ihm werden sollte, weiter. In Gedanken versunken, vergrämt und bekümmert, setzte er sich an einem Platz nieder, als mit einem Male wieder die Alte an ihm vorüberkam. Als sie den Kaufmann erblickte, sagte sie zu ihm: »Es scheint, die Leute hier in der Stadt haben dich doch unter ihre Finger bekommen, denn ich sehe dich bekümmert über dein Mißgeschick.« Da erzählte er ihr alle seine Erlebnisse von Anfang bis zu Ende, worauf sie versetzte: »Was den anlangt, der dich mit dem Sandelholz geprellt hat, so wisse, daß jedes Pfund Sandelholz bei uns zehn Dinare Wert hat; ich will dir jedoch einen Rat geben, durch den du dich, wie ich hoffe, wieder befreien kannst; begieb dich zu dem und dem Thor, dort sitzt ein blinder Scheich, der klug und weise, reich an Jahren und erfahren ist, und den alle Leute aufsuchen und in ihren Angelegenheiten um Rat fragen, worauf er ihnen vortrefflichen Rat erteilt, da er in Listen, Zauberei und Betrügerei wohl bewandert ist. Er ist ein Spitzbube, bei dem sich die Spitzbuben des Nachts zu versammeln pflegen. Geh deshalb zu ihm und verbirg dich vor deinen Gegnern, daß du sie unbemerkt belauschen kannst, denn er wird ihnen sagen, wer der Preller und der Geprellte ist, und so hörst du vielleicht einen Vorwand, mit Hilfe dessen du dich von deinen Gegnern befreien kannst.«

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