Projekt Gutenberg

Textsuche bei Gutenberg-DE:
Autoren A-Z: A | B | C | D | E | F | G | H | I | J | K | L | M | N | O | P | Q | R | S | T | U | V | W | X | Y | Z | Alle
Gutenberg > Stendhal >

Über die Liebe

Stendhal: Über die Liebe - Kapitel 31
Quellenangabe
typeautobio
authorvon Stendhal - Henry Beyle
titleÜber die Liebe
publisherEugen Diederichs
year1907
printrunZweite durchgesehene und vermehrte Auflage
editorHerausgegeben von Friedrich von Oppeln-Bronikowski
seriesAusgewählte Werke
volumeBand III
translatorArthur Schurig
senderwww.gaga.net
created20050527
Schließen

Navigation:

29. Ein sonderbares und trauriges Schauspiel

Es ist eine Folge des weiblichen Stolzes, daß die Frauen wegen dummer Leute an geistvollen Menschen und wegen prosaischer Geldjäger und roher Kraftnaturen an edlen Seelen Rache üben. Das ist eine traurige Folge.

Die kleinlichen Erwägungen des Stolzes und die Rücksichtnahme auf die Gesellschaft haben manche Frau unglücklich gemacht, und die elterliche Eitelkeit hat manche in entsetzliche Verhältnisse gebracht. Das Schicksal hat ihnen nun als reichlichen Trost für all ihr Unglück glückliche Liebe und leidenschaftliche Gegenliebe zugedacht. Eines schönen Tages aber verfallen sie – ihren Feinden zuliebe – wieder in den gleichen sinnlosen Stolz, deren Opfer sie schon einmal waren. Sie töten das einzige Glück, das ihnen blieb, und machen sich selbst und den Geliebten unglücklich. Eine ihrer Freundinnen, die zehn stadtbekannte Liebesverhältnisse und nicht einmal eins nach dem andern gehabt hat, redet ihnen gewichtig ein, daß sie durch ihre Liebe in den Augen der Mitmenschen entehrt würden. Und gerade diese guten Mitmenschen, die sich immer nur zu Niederträchtigkeiten einstellen, sind es, die ihnen großmütig alle Jahre einen Liebhaber zuschreiben, weil das die Regel ist, wie sie sagen. Es ist ein Schauspiel, das die Seele betrübt: eine zartfühlende und überaus rücksichtsvolle Frau, ein Engel an Reinheit, flieht auf den Rat einer abgebrühten Kokette ihr unermeßliches, einziges und letztes Glück, nur um in fleckenlos weißem Gewande vor einen groben Tölpel von Richter hintreten zu können, der seit hundert Jahren als blind bekannt ist und doch aus vollem Halse schreit: »Sie trägt ein schwarzes Kleid!«

 << Kapitel 30  Kapitel 32 >> 






TOP
Die Homepage wurde aktualisiert. Jetzt aufrufen.
Hinweis nicht mehr anzeigen.